Nerother Wandervogel - Politischer Standort


Zuweilen wird der Begriff "Rechts" auf Jugendbünde mit jugendbewegter Tradition bezogen, dann politisch und als Vorwurf gemeint. Natürlich fehlt dabei die genaue Begriffsdefinition. Ebenso fehlt in den meisten Fällen ein Persönlichkeitsbild derer, die solche Vorwürfe anonym über Internetlexika äußern. Hätte der neutrale Beobachter ein solches Persönlichkeitsbild zur Hand, so würde er schnell erkennen, daß der Gebrauch dieser Art von Allgemeinplätzen als bloßes Glaubensbekenntnis geistig unbeweglicher, starrer Naturen zu werten ist. Wie stehen nun die Nerother selbst zur Verwendung der Schlagworte "Links" und "Rechts", da ja auch ihnen "Entwicklung nach rechts" oder "Ökofaschismus" oder "Traditionalismus" usw. gelegentlich angedichtet werden?

Wer sich an einen solchen Begriff klammert, der gehört -bildlich gesprochen- zu denen, die "nicht bis drei zählen können", wie es der Volksmund ausdrückt. Die Welt ist vieldeutig und vielschichtig, auch in jeglicher Problematik. Entsprechend bieten sich auch für jegliche Lage unterschiedliche Möglichkeiten an Wer nun aber seine Beurteilung auf lediglich zwei Möglichkeiten reduziert, die mit der Schablone Links-Rechts erfaßt werden können,´ der belegt nicht nur eigene Einfalt, er scheitert natürlich auch bei jedem Versuch eine gerechte Problemlösung zu finden.
Stellt man drei Personen in Sichtweite parallel auf einer Linie auf ohne ihnen ihre Anzahl mitzuteilen, so nimmt die äußerst linke Person den Mann in der Mitte als rechts wahr. Es wird also nicht die Realität wahrgenommen, sondern der eigene Standort bestimmt den Blickwinkel!
Die oberflächliche Behauptung, ein Bund der seine Wurzeln in der historischen Jugendbewegung hat stünde "rechts", belegt aber noch mehr. Er weist dem Benutzer solcher Begriffe einen großen Mangel an persönlicher Stärke zu. Wer in seiner Argumentation auf zeitgeistige Phrasen zurückgreifen muß, gehört zur Vielzahl jener Opportunisten, die in jeder Gesinnungs- oder Parteiendiktatur das Fußvolk stellen, gleich welcher Glaubensrichtung solche Diktatur anhängt.

In der Vergangenheit von 1933 bis 1945 bezeichnete der herrschende Zeitgeist die Nerother als "links" oder "kulturbolschewistisch". Hilfsbedürftige, die heute noch immer die Welt durch irgendein System retten wollen und insofern das Scheitern des Sozialismus nationaler und internationaler Prägung nicht wahrgenommen haben, neigen schnell dazu, auf unverstandene Äußerungen aus dem Nerother Bund zu reagieren, indem sie eine Einordnung nach ihren Möglichkeiten vornehmen. Dabei liegt ja tatsächlich in der Unbeugsamkeit bei der Meinungsäußerung der jeweiligen Nerother Bundesführer eine Stärke, auf der ihre Glaubwürdigkeit ruht. Die Mißachtung jeder Mode, auch in der Meinungsführung, beweist auch ein hohes Maß von Demokratiefähigkeit. Richtig verstandene Demokratie -in der Praxis ja wohl nur als Utopie und Orientierungshilfe zu sehen- lebt aus Pluralität und aus der Akzeptanz von Gegensätzen. Wo Meinung justitiabel wird oder durch Parteienwillkür oder durch mediale Monopole unter Druck gerät, kann sich allenfalls "Volksdemokratie" entwickeln, also Unterdrückung Andersdenkender.
Im Sinne dieser Betrachtung sind alle Äußerungen über den Nerother Bund und seine weltanschauliche Ausrichtung zu prüfen. Richtig ist, daß die schmerzliche Erfahrung des Nerother Bundes mit einer Diktatur seinen tragenden Persönlichkeiten stets gegenwärtig ist. Daraus nährt sich ein Selbstbewußtsein, das Opportunisten als Vorläufer despotischer Zustände erkennt, und das gegen politische Phrasen immun ist. Zudem ist ein einheitlich politischer Standort im Nerother Bund unmöglich, da seine Gruppen autonom sind und verfestigte Weltanschauung des reifen Menschen bedarf. Der Nerother Bund setzt bei seinen Jugendlichen auf die notwendige Ausgärung auch irriger Meinungen und verzichtet auf jede Vorgabe von oben her. Auch gut gemeinte politische Arbeit mit Jugendlichen kann immer nur Indoktrination sein. Entsprechend gibt es auch unter den erwachsenen Vereins- mitgliedern keine Meinungsschwerpunkte. Der Unterschied zur Gesamtgesellschaft liegt sicher auch darin, daß selbst bei der Begegnung von harten Meinungsgegensätzen die persönliche Integrität des Gesprächspartners nicht angezweifelt wird.
Im übrigen trägt auch der fortschreitende Bildungsmangel dazu bei, daß Sprache nur noch sehr bedingt ein Verständigungsmittel zwischen Generationen und unterschiedlich Gebildeten sein kann. Nicht einmal mehr Worte wie konservativ, liberal, progressiv lassen sich in einer weltanschaulichen Diskussion verwenden, wenn man nicht den Bildungsstand des Gegenüber vorher sehr genau abgeklärt hat. Je jünger unsere Gesprächspartner werden, um so mehr müssen wir damit rechnen, daß diese selbst bei angelernten Worten gedanklich und emotional bald nur noch zwischen "cool" und "uncool" unterscheiden können.

Nach wie vor gilt für den Nerother Wandervogel dieser Kernsatz aus der unten empfohlenen Broschüre: Für den Wandervogel gab es als Wertschema in bezug auf den Menschen nur den Menschen selbst. Die Tradition der Nerother liegt nicht in der äußeren Form historisch gewachsener Rituale, sondern im Festhalten an bestimmten Mitteln und der daraus folgenden Praxis, die Knaben und junge Männer durch zweckfreie Fahrten in die Welt, mit besonders abenteuerlichem Charakter, einen Erfahrungsraum vermittelt der Vergleiche möglich macht und Persönlichkeit stärkt. Wobei nicht die Erziehung zu etwas hin gewollt ist, sondern die ungestörte Entfaltung vorhandener guter Anlagen. Die heute übliche Konfrontation mit Erwachsenenproblematik wird für Jugendliche abgelehnt und an deren Stelle treten die Harmonie echter Gemeinschaft, die unmittelbare Begegnung mit der Natur und das Lied als Ausdruck von Lebensfreude. Das positive Vorbild steht an Stelle der Belehrung, die letztlich eher zu Resignation und Mißmut führt.

Literatur:
Dr. Gerhard Ziemer "Der Wandervogel und Zum politischen Standort der historischen Jugendbewegung".
Bezug über: Nerother Bundeskanzlei, Burg Waldeck, 56290 Dommershausen



Seitenanfang
Zurück