Nerother Wandervogel -
Gesellschaft, Schule, Erziehung


Während bei den meisten Jugendverbänden ein wuchernder Apparat die materielle Versorgung der Funktionäre in den Vordergrund stellt, ist der Nerother Bund einen anderen Weg gegangen. Durch den bewußten Verzicht auf staatliche Fördermittel und die ausschließlich ehrenamtliche Leitung von Jugendgruppen, ist jede Führung unmittelbar und läßt die aktiven Jugendführer am Puls der Zeit bleiben. Wer in seiner Jugend einer guten Gruppe des Bundes angehörte, tritt in vielen Fällen nach seiner Familiengründung oder den beruflichen Forderungen in den Förderverein über und verliert die Jugendfreunde nicht aus den Augen. Insofern lassen sich Veränderungen über Generationen hinweg beobachten, und Erfahrungen gehen nicht verloren. Wer aus dieser Erfahrung heraus einen Blick auf die Gegenwart wirft, hat wenig Grund zur Hoffnung. Die (von Ricarda Huch schon früh thematisierte) Entpersönlichung wird gegenwärtig durch drei Fehlentwicklungen vorangetrieben:

Die viel zu frühe Einbindung in das technisch Machbare der Bildschirmwelten, unter Verzicht auf wirksamen Jugendschutz, verändert Verhalten und zerstört Entscheidungsfähigkeit. Der Mensch ist zum Versuchstier geworden. Da die Verantwortung bei Politikern liegt, die nicht der Qualitätsprüfung durch einen Fähigkeitsnachweis unterliegen, bestimmen letztlich anonyme, materielle Interessen den Gang der Dinge.

Die Schule wird von der Bildungsstätte zur Ausbildungshilfe und orientiert sich an den Forderungen von Produktionen die nicht langfristig angelegt sind und für deren Notwendigkeit kein Nachweis erbracht wird. Wo Phantasie, Individualität und Leistungsbereitschaft störend wirken, wird zwangsangepaßt (Beispiele: Rechtschreibreform, Gesamtschule).

Ein pädagogisches Konzept kennt der Nerother Bund nicht, Erziehung wird als Nebenwirkung gesehen. Die "Öffentlichkeit" braucht zu ihren fragwürdigen Urteilen immer Methodik und Programm. Wir stellen dem nun die Worte eines Dichters entgegen, der entscheidende Jahre im Nerother Wandervogel verbracht hat:

"Es gehört zu den Besonderheiten des Nerother Wandervogel, daß er, auf sein Programm hin geprüft, keinen in Worten ausdrückbaren Plan vorweisen kann. Das ist, in einer Zeit, die das Programmieren über alles stellt, ohne daß jemals Leben daraus wird, ein Nonsens und schwächt die Position des Bundes in den Augen derer, die den Sinn ihres Daseins darin entdeckt haben, daß sie sich zusammensetzen, um sich auseinanderzusetzen. Und das in so vielen Worten, bis auch das letzte "Teilchen" Substanz wegdisputiert ist. Der Rest ist Leere, die danach gähnt, wiederum mit Auseinandersetzungen aufgefüllt zu werden. So vergehen die Stunden, die Tage, die Jahre. So vergeht die Zeit, voll von Geschehen bis an die Grenzen des Raums. Bemessene Zeit, denn keiner lebt über sich hinaus. Der Morgen und das Übermorgen stehen unter eigenem, von uns nicht vorausbestimmbarem Gesetz. Diese Einsicht hat die Struktur des Nerother Wandervogel sozusagen wortlos mitbestimmt. Der Bund will tätig sein innerhalb der Grenzen, die der Moment ihm setzt. Das ist ein Ethos ohne Worte, es teilt sich nur atmosphärisch mit und die davon Ergriffenen sind sich einig in dem Wunsch, ein Stück Heimat in dem Leben zu erschaffen, wie es sich bietet und nicht, wie es die Programmierer aus einem angemaßten Besserwissen heraus haben wollen."



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